Kultstadt – Hannover

Abgesehen von Corona war zu erwarten, dass KAUFHOF/KARSTADT sich früher oder später von mindestens einem seiner drei hannoverschen City-Kaufhäusern trennen wird. Was für die betroffenen Mitarbeiter*innen sehr bedauerlich ist, hat möglicherweise aber auch fatale Auswirkungen auf die Attraktivität der City und deren Geschäfte. Verkaufsoffene Sonntage, eine autoarme, autofreie oder eine autofreundliche City allein werden die derzeitigen pandemiebedingten und die durch den verstärkten Internethandel zu erwartenden Strukturprobleme des stationären Handels weder in Hannover noch im Rest der Welt lösen.

 

Schreien diese bedrohlichen Strukturprobleme gerade in diesen extrem ungewöhnlichen Zeiten nicht nach ungewöhnlichen Ideen und Lösungen? Auch im Hinblick, dass Hannover – trotz Corona – in fünf Jahren Kulturhauptstadt werden will und zur Zeit einen enormen Raumbedarf für bestehende Institutionen (Stadtarchiv, Historisches Museeum, EXPO-Museeum, Stadtbibliothek, Theatrio-Figurentheater u.a.). stelle ich folgende vorbildlose Idee zur Diskussion:

Die Idee

Das mitten im Herzen der City liegende KARSTADT-Haus umwandeln in ein hoch attraktives, anziehendes KULTUR-Haus.

Allein der Gedanke, dass das Historische Museum möglicherweise weit über fünf Jahre hinaus kein einziges Zeugnis der Geschichte Hannovers zeigen kann und die gesamte städtische Kulturszene durch Corona arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, führt zu der Idee, dieses attraktive und gepflegte Gebäude mit seinen Lasten- und Personenaufzüge, Rolltreppen, Notausgängen, Lagerräumen und Feuerschutzvorrichtungen mit niederschwelligen, trotzdem hochkarätigen, öffentlichen Kulturaktivitäten neu zu beleben.

Neben dem für unsere Kulturhauptstadtbewerbung möglicherweise ausschlag­gebenden Akzent könnte das „Herz der City“ mit diesem ständigen, nachhaltigen, „alltäglichen“ Kulturleuchtturm (ähnlich der Hamburger Elbphilharmonie – nur nicht für die Elite sondern für Alle) weit über die Region hinaus Menschen anlocken und damit auch dem Handel jetzt und in den Nachcoronazeiten Mut und Hoffnung machen.

Die Finanzierung

Da natürlich sofort die Unfinanzierkeule geschwungen wird und auch darauf hingewiesen wird, wie schwer es wohl sein wird, jetzt, wo die Wirtschaft „lahm gelegt“ ist, Sponsoren zu gewinnen, bringe ich eine alte Idee von einem um­lagebasierten Wirtschafts-Kultur-Fond (den man jetzt Kultursolidaritätsfond nennen könnte) ins Spiel. Ich stelle mir vor, dass nicht immer die „üblichen Verdächtigen“ um große Zuwendungen angesprochen werden, sondern alle städtischen Unternehmen (insbesondere natürlich die, die jetzt Staatshilfe bekommen haben) und auch die durch Corona unbehelligten Bürger*innen um einen „winzigen“ Solidarbeitrag gebeten werden. Das Ergebnis: Wenn lediglich die Hälfte der ca. 25.000 hannoverschen Unternehmen jedes Jahr „nur“ 240 Euro (20 Euro pro Monat) und darüber hinaus 100.000 Bürger*innen (20 Prozent der Einwohner Hannovers) „nur“ 24 Euro (2 Euro pro Monat) in den Fond einzahlen, dann ergibt das die stolze Summe von jährlich 5,4 Millionen Euro. (Bei 500/50 Euro wären es sogar jährlich 11,25 Millionen.)

Davon könnten Miete und Unterhaltskosten gedeckt werden. Kollateralnutzen dieses solidarischen Finanzierungsmodells: Ein starkes Wir-Gefühl und Identifizierung mit dem Projekt und der Stadt. Für den Umbau, die Einrichtung oder möglichen Kauf dieses der Kultur und der Wirtschaft gleichermaßen dienenden City-Kultur-Centers dürfte es bestimmt Landes- Bundes- und Europamittel geben. Ebenso wäre natürlich auch eine Stiftung denkbar.

 

Die gemeinsame Aufgabe

Ich erinnere: Mit einer unglaublichen Aufbruchstimmung hat Hannover nur zwei Monate nach Kriegsende – trotz Ausgangssperre und Versammlungsverbot für mehr als 10 Menschen – es geschafft, deutschlandweit wieder die erste Oper aufzuführen, bereits in den 60iger-Jahren die U-Bahn anzudenken und zur Jahrtausendwende die EXPO an Land bzw. in die Stadt zu ziehen.

Es wäre schön, wenn meine Idee auf fruchtbaren Boden fällt und die Menschen, die Wirtschaft und die Politik darin eine gemeinsame, konkrete Perspektive und Aufgabe zur Gestaltung einer sicheren und lebenswerten Zukunft sehen würden. Denn: Eine lebendige Stadt/City braucht Konsum- und Kulturleuchttürme genauso wie Konsum- und Kulturlaternen, offene Kommunikation und – last but not least – engagierte Menschen sowie mutige Entscheider*innen!

 

Erwin Schütterle
17.07.2020